Bewußtseinserweiternde Drogen sind ja bekanntermaßen oft im Spiel, wenn abwegige aber nichtsdestotrotz großartige Ideen das Licht der Welt erblicken. In Ermangelung solcher in unseren Breiten oftmals schwer zugänglicher Pharmazeutika, greift der gemeine Westeuropäer gerne zu Ersatzstoffen wie dem Alkohol. Schnapsideen sind ein weit verbreitetes Phänomen, aus dem sich sicherlich weitaus größerer zivilisatorischer und volkswirtschaftlicher Nutzen ziehen ließe, wenn der großzügige Genuß von Alkohol nicht ebenfalls mit einem anderen manchmal erwünschten aber oft ausgesprochen kontraproduktiven Effekt verbunden wäre: Dem Filmriss.

Es ist also im Nachhinein als großes Glück zu bezeichnen, dass ich bei der vorletztwöchigen Zusammenkunft vorm Pawlow aufgrund meiner anstehenden PMP-Zertifizierung nur Besatzerlimo zu mir nehmen konnte, während vor allem s-Vie und der Ol verbissen um den höchsten Pegel konkurrierten. Ol war es dann, der nach einer längeren Erörterung der Feinheiten intellektualisierter Unterhaltungsmusik auf YouTube zu sprechen kam. Zum betreffenden Zeitpunkt war es nur ein kleiner Schritt von den schmutzigen Synkopen, die die Gesellschaftskritik des Ur-Funk voran peitschten, zum weltgrößten Sammelbecken verstotterter Selbstdarstellungsfilmchen. Mir als (allzu nüchternem) Außenstehendem war allerdings nicht sofort klar, was Teenager und Webcams mit der gereiften Musikleidenschaft von uns Enddreißigern zu tun haben sollte. Ol musste also schwere Geschütze auffahren und griff zur dicken Bertha unter den rhetorischen Figuren: Der gewagten Behauptung.

“Auf YouTube findest Du jeden Song!” - Und er meinte jeden! YouTube das neue Napster für die Vlogger-Generation? Ich war zunächst äußerst skeptisch. Da half es auch nicht, dass er uns aufforderte alle bedeutenden Musiker und Bands der Weltgeschichte aufzuzählen - und zwar in alphabetischer Reihenfolge.

Er und s-Vie schafften es an dem Abend nur bis “E” und leider war es mir nicht vergönnt, die lange Liste für die Nachwelt zu dokumentieren. Um seine ungeheure Behauptung zu verifizieren und um die Erkenntnisse des Abends in weniger inspirierte Zeiten hinüber zu retten, beschlossen wir schließlich, dass jeder 10 Songs auf YouTube heraussuchen sollte, die ihn zu Tränen oder mindestens zur Gänsehaut gerührt hatten. Die Liste der Videolinks sollte dann per Email an alle Anwesenden verbreitet werden.

Das hieß also, meinen Posteingang sollte in nächster Zeit 40-mal visuelle und akustische Gänsehaut erreichen.- Leider funkte das von mir oben schon erwähnte Phänomen dazwischen und so warte ich heute noch auf die Top-40 der Musikgeschichte.

Um aber zumindest meinen Part zu erfüllen und um herauszufinden, ob YouTube wirklich das neue musikalische Füllhorn darstellt, begab ich mich auf die Mission, meine musikalische Erinnerungswelt mit den Archiven von YouTube abzugleichen.

Leider behielt Ol nicht recht: Der Soundtrack meines Lebens ist nicht vollständig auf YouTube vertreten - und das, obwohl ich meinen Musikgeschmack für eher konventionell halte. Naja, YouTube ist ja noch im Aufbau. Ignoriert die Content-Mafia und haltet euch ran! :-)

Anbei das nicht-repräsentative Ergebnis meiner Bemühungen. Nicht live und in Farbe dafür komprimiert und gestreamt - zehnmal Entenpelle wo immer das Internet erreichbar ist:

1. Moloko - The time is now

Mein absoluter Lieblingssong. Nichts geht über dieses Gefühl.


2. U2 - One

Das Original ist unübertroffen (Gänsehautfaktor-technisch). Sehr nett ist auch diese Version. Und die hier geht gar nicht.


3. The Rolling Stones - Paint it black


4. Tom Waits - Strange Weather

Wahnsinn! Die haben das. Auf YouTube. The master hinself!

Abspielen

5. Talking Heads - Stop making sense

Nochmal wow! Ein Schatz. Diesen Teil der Festplattenfarm bitte vergolden.


6. Nouvelle Vague - Guns of Brixton

Tja, eins der vielen Lieder, für die ich kein Original-Video gefunden habe. Allerdings fand ich dieses Amateur-Cover des (The Clash-)Covers so cool, dass es gut anstelle des Nouvelle Vague-Originals stehen kann. YouTube, you made me a believer!

Völlig unerwähnenswert dagegen ist die lahme Cover-Version der Wohlfühl-Punker aus dem Ruhrpott.


7. The Doors - When the musics over

Ein wilder Trip - auch ohne psychedelische Additiva .


8. Gary Jules - Mad World

Ein wunderschönes Tears for Fears-Cover - und ein wunderschönes Video. Die Unplugged-Version gibt es hier.


9. Metallica - Frantic

Wow, anger is a gift!


10. Suzanne Vegas - The queen and the soldier

“… But the crown, it had fallen, and she thought she would break

And she stood there, ashamed of the way her heart ached …”